Lieber Ruben Wickenhäuser,
bevor ich verrate, aus welchen Grund ich Dir schreibe (hoffe, das kollegiale Du ist okay), will ich zunächst erklären, warum ich das „öffentlich“, mache. Einer der Gründe liegt darin, dass Du ein Schriftsteller bist. Ich sehe die Chance, dass zwischen uns ein Dialog entstehen könnte, der eine unterhaltsame, in gewisser Weise ästhetische Qualität haben könnte, der auch Außenstehende zum Mitlesen einlädt. Ein weiterer Grund ist, dass relevante Erkenntnisse in unserem Austausch entstehen könnten, die direkt mitverfolgt werden können, ohne dass wir sie erst in trockene Aufzählungen zusammenfassen, die ihrer Entstehung beraubt sind.
Wir beide wissen, wirkungsvolle Gedanken verknüpfen sich nicht mit Listen, sondern mit Geschichten. Narrative lassen die Welt driften. Und das ist ein weiterer Grund, warum ich Dir schreibe: Ich möchte mit Dir über die Macht von Geschichten sprechen. Nicht oberflächlich, sondern konkret. Geschichten scheinen die Welt auseinanderzureissen. Dabei geht es nicht mehr um "Wahrheit“, zumindest nicht im faktischen Sinne.
Andererseits können Geschichten auch ganz neue Welten entstehen lassen. Dazu ist aber Phantasie erforderlich.
Dabei meine ich natürlich nicht den Aberglauben in den Filterblasen, sondern die Fähigkeit, zu lernen, Wissen anzuwenden, Probleme zu lösen, sich an neue Situationen anzupassen, abstrakt und vielschichtig zu denken, Verständnis zu entwickeln, komplexe Ideen zu verstehen und mit Experimentierfreude auf Metaebenen Lösungen zu entwickeln. Eigentlich das, was uns Menschen auszeichnet, hoffe ich.
Meine Aufgabe sehe ich darin, Menschen zu inspirieren, damit sie über sich selbst hinauszuwachsen können. Hier kann ich gute Erfolge nachweisen. Ganz zentral ist dabei, einen Rahmen herzustellen, der Orientierung und Verbundenheit bietet und gleichzeitig von den aktuellen Gedankenfesseln befreit.
Interessanterweise tust Du das als Autor auch. Deine Geschichten aus der Zukunft bieten Orientierung im Unbekannten, stellen mitunter eine Verbindung zu „Außerirdischen“ her und befreien zumindest für kurze Zeit von den eigenen „irdischen Grenzen“. Gepaart mit meiner Intention könnten sie Inspiration für neue Ideen und Denkmodelle sein.
Anders ausgedrückt: In einer Zeit in der die alten Muster sich mit Lichtgeschwindigkeit selbst zu überholen scheinen, braucht es schon einen Wurmlochnavigator, um in die nächste Galaxie vorzustoßen.
Es ist Zeit, den nächsten Schritt zu machen und unsere Fähigkeiten zusammenzuwerfen.
Deshalb frage ich Dich als Meister der Phantasie, Dich den Sciencefiction-Autor Ruben Wickenhäuser: Möchtest Du mit mir zusammen ein Format für Story-Entwicklung in Unternehmen und anderen Organisationen erarbeiten?
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Viele Grüße
Thor
Lieber Thor van Horn,
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bitte sehe mir meine späte Antwort auf Dein nettes Schreiben nach – ich habe gerade 1.500 Lichtjahre von uns entfernt, in der Nähe eines kleinen Schwarzen Lochs, Flora mit enormem Appetit auf Zweibeiner zurechtstutzen müssen. Die hungrigen Pflanzen gibt’s (vermutlich) nur im NEOversum. Das Schwarze Loch im Sternbild Monoceros hingegen gibt’s (wahrscheinlich) wirklich.
Jetzt bin ich von der utopischen Gärtnerarbeit zurück und habe mir Deinen spannenden Vorschlag durchgelesen.
Unternehmen mit Zukunftserzählungen zu helfen, ist schon ein recht ungewöhnlicher Gedanke. Science-Fiction spielt sich ja normalerweise eher im Kopf ab, und das für wirtschaftliche Organisationseinheiten zu nutzen, hat etwas. Nicht nur für Gärtnereien, die ihre Zukunft in der Nähe von Schwarzen Löchern sehen.
Aber erst einmal zu Dir. Was ich über Dich gelesen habe, klingt nach einem erfahrenen Vermittler zwischen Kunst und Unternehmenskultur. Ich habe mir sagen lassen, dass du hunderte von Führungskräften internationaler Konzerne gehörig aus der Komfortzone geholt hast – ich hoffe, sie waren sympathischer als Venusfliegenfallen oder Sonnentau. Zwar bin ich kein Künstler, aber ich bin der Ansicht, dass das eine wichtige Aufgabe von Kunst ist: Nicht einfach gefällig zu sein und irgend ein Programm abzuspulen, sondern herkömmliche Grenzen zu durchbrechen, damit Menschen aufzurütteln und ihnen dadurch neue Perspektiven zu eröffnen. Das finde ich gut.
Trotzdem möchte ich Zweifel äußern. Science Fiction ist zwar durchaus angesagt – siehe die entsprechenden Kinofilme, die in den letzten Jahren herausgekommen sind oder dieses Jahr herauskommen werden. Auch Serien wie The Expanse, Star Treck oder auch Star Wars sind ja Kassenschlager. Die klassische Heftserie Perry Rhodan aus den 60ern läuft mit über 3.200 Bänden immer noch, parallel dazu unser »Relaunch« mit über 325 Bänden. Das Interesse ist also noch wach (kein Wunder – welches warme Herz lässt denn so etwas niedliches wie ein Schwarzes Loch mit nur drei Sonnenmassen unberührt?).
Aber das Genre ist nun einmal eher speziell. Damit wirklich eine breite Schicht von Menschen in Unternehmen abzuholen, stelle ich mir nicht ganz einfach vor. Wir würden ja gerade nicht nur SF-Fans oder galaktische Gärtnereien ansprechen wollen.
Vielleicht kannst Du mir noch ein wenig mehr Einblicke in Deine Idee liefern?
PS. Wie erdähnliche Vegetation nach Monoceros kommt? Das kannst Du in einigen Monaten nachlesen ...
Lieber Ruben,
Du hast natürlich Recht, Science Fiction ist speziell und nicht für jedermann/frau. Hinzu kommt: Auch bei partizipativer Kunst ist es wichtig, die Menschen von dort abzuholen, wo sie stehen. Sonst ist der Weg zur neuen Perspektive oder zu einer völlig neuen Idee von vornherein versperrt. Ich investiere viel, um herauszufinden, wo dieser Abholpunkt ist.
In der Kunst stehen einem dabei Originalität und die Wirkungsmechanismen der Ästhetik als Instrumente zur Verfügung. Wir kennen das sehr gut, wenn wir einen Film ansehen: Kamerabewegung, Position, Filmschnitt, Rhythmus, Musik, u.v.m. sind Mittel, die wir eher unbewußt wahrnehmen, aber sie sind wichtig, damit wir in den Sog der Handlung geraten.
Bei den Führungskräften, „die ich aus der Komfortzone holte“, ging es übrigens ganz speziell um das Thema Selbstüberwindung. Hier war es entscheidend zu überzeugen, dass Selbstüberwindung etwas Konkretes bringt und was das ist.
Nun könnte ich argumentieren, dass die Entwicklung von Geschichten im Unternehmenskontext, basierend auf Science Fiction, auch der Selbstüberwindung bedarf wegen des großen Nutzens. Aber, um in andere Dimensionen vorzustoßen, hätte ich einen ganz anderen Ansatz: nämlich das zu teilen, was wir lieben. Wie oft ist es mir im Leben schon passiert, dass ich mir etwas ansah, schmeckte oder zuhörte, weil ich gebannt war von der Hingabe und Leidenschaft, mit der mein Gegenüber von etwas geschwärmt, gekocht oder auch musiziert hat. Man fühlt sich inspiriert. Darum geht es in der Kunst: Inspiration. Das schönste Synonym dieses Wortes ist Erleuchtung. Es ist ein erhellender Blitz, der förmlich in einen fährt und das nur, weil jemand, völlig erfüllt von seiner Idee, es geschafft hat, sie in ihrer Reinheit und Wahrheit zu vermitteln.
Ich war irritiert, dass Du sagt, du wärst KEIN Künstler. Literatur gehört doch zu den Kunstgattungen. Ich finde es witzig, wenn viele auf meine Frage nach ihrem letzten Kontakt mit Kunst antworten, sie wären vor einem halben Jahr im Kunstmuseum gewesen. Dann stellt sich heraus, dass sie den Tag mit Singen beginnen, gerade ein gutes Buch lesen und Abends ins Kino gehen. Natürlich spielt Qualität eine Rolle, ob man etwas als Kunst definiert oder nicht. Aber was sollen verkopfte Definitionen, wenn man von etwas inspiriert ist und ins Staunen gerät.
Wenn ich Deine Romane lese, ist das so. Am liebsten würde ich auch gerade auf Se’main mit den wasserliebenden Perlians durch ihre von Kanälen und unterirdischen Wasserstraßen durchzogene Basis streifen.
Zunächst will ich aber auf der Erde bleiben und damit beim sogenannten Transfer von Inhalten der SF Literatur hin zum Arbeitsalltag. Nun wirst Du nach all dem, was ich bisher schrieb, überrascht sein, wenn ich sage: dieser Transfer funktioniert womöglich wirklich nur bei SF-Fans. Doch genau diese Gruppe würde ich gerne erreichen und wäre in diesem Fall glücklich damit. Du nicht auch?
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Herzlichst
Thor
Lieber Thor,
dank Dir für Deine ausführliche Antwort! Führungskräfte mit ihrer Selbstüberwindung zu konfrontieren, stelle ich mir sehr spannendes vor – vielleicht kannst Du bei Gelegenheit etwas aus dem Nähkästchen über Deine Erfahrungen in den Workshops plaudern.
Weniger »konfrontativ« vorzugehen und stattdessen das zu nutzen, was wir lieben, ist allerdings auch ein interessanter Ansatz. Ich stelle es mir durchaus als eine Herausforderung vor, wie Du schriebst, die Leute »abzuholen«.
Aus zweierlei Gründen könnte er lohnenswert sein: Zum einen ist es der weniger übliche Weg, weil Konfrontation sicher naheliegender für das Aufbrechen alter Strukturen zu sein scheint. Zum anderen kann er Energien entfesseln, eben die Inspiration, von der Du sprachst. Ich merke das oft bei der Arbeit an Romanstoffen. Spannung, Actionszenen und Konflikte zu beschreiben, ist schön und gut. Richtig eintauchen kann ich aber dann, wenn ich einen Anknüpfungspunkt an ein Thema finde, das ich liebe. Das können Charaktere sein, die mich besonders ansprechen, aber auch scheinbar technische Dinge wie ein ungewöhnliches Zahlensystem – Du hattest in Deiner Antwort ja die Perlians erwähnt; bei denen war es das Duodezimalsystem, das ich für sie aufgrund ihrer zwölf Finger entworfen hatte.
Jedenfalls: Sobald ich etwas gefunden habe, was mich derart anspricht, dann reicht das Unterbewusstsein stapelweise Anregungen durch, und der bewusste Verstand kommt kaum damit nach, die ganzen Anregungen in geschriebene Handlung umzusetzen! Oft wird daraus auch etwas, das Ähnlichkeiten mit einem geistigen Marathon hat.
In sofern: Ja, wenn eine solche Saite in Führungskräften zum Klingen gebracht werden kann und Schleusen der Inspiration geöffnet werden, dann dürfte das Ergebnis wirklich gut werden.
Kurz möchte ich in dem Zusammenhang auch noch auf Deine Verwunderung eingehen, was die Künstler-Bezeichnung betrifft. Ich sehe das eher lexikalisch. Natürlich ist die Schriftstellerei Teil der Künste, die im Übrigen ja ein weites Feld sind, wie schon der Abschluss »Magister Artium« als Universitätsgrad für Geistes- und weitere Wissenschaften verrät. Um der präzisen Bezeichnung willen trenne ich Schriftsteller, Musiker und Künstler in sofern, als die ersteren phantastische Welten durch Wort und Schrift erschaffen, während zweite dies durch Musik tun und letztere durch alle Arten der Gestaltung, sei es von Bildern, Räumen oder Handlungen.
Aber zurück zur Praxis! Du schriebst in Deinem letzten Absatz, dass der Transfer »wirklich nur bei SF-Fans« funktionieren könnte. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Zielgruppe innerhalb von Unternehmen groß genug ist. Auf der anderen Seite kann ich mir inzwischen schon besser vorstellen, dass gerade dank Deiner Begeisterung für aufrüttelnde Konfrontation mit Kunst auch jene begeistert werden können, die sich eigentlich gar nicht für SF-Fans halten. Das klingt auf jeden Fall nach einer Herausforderung … gehe gern noch ein wenig ins Detail – ich bin gespannt!
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Viele Grüße
Ruben
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Zwei Monate ist es her, dass ich Ruben Wickenhäuser hier auf LinkedIn angeschrieben habe, ob er an einer Zusammenarbeit mit mir interessiert wäre. Er ist Sciencefiction Autor bei „Neo“ der Serie von Perry Rhodan. Ich hatte die Bücher schon als Kind gelesen, wenn mein Vater damit fertig war. Inzwischen haben Ruben und ich uns getroffen und uns auf Anhieb verstanden. Wir haben etwas ausgeheckt und schwupp, das Ergebnis kann man (zumindest in Teilen) auf dieser Website sehen.
Wir bieten ab jetzt gemeinsam Storytelling in Changeprozessen, also Narrative Organisationsentwicklung an.
Ich glaube, es kann auch für die, die gern auf dem Boden der Tatsachen stehen, hilfreich sein, mit uns einmal kreativ zu werden und gedanklich abzuheben. Da sind die Weiten des Weltraums durchaus inspirierend und der Sprung von einem Unternehmen zu einer Raumstation gar nicht so weit.
Unsere erste Idee war, dass wir den Teilnehmenden ein Erlebnis bieten wollen, das dem Holodeck in Star Trek sehr nahe kommt. Also haben wir die beste Technik zusammen mit künstlicher Intelligenz aufgefahren und einen Rahmen gesetzt, der inspirierend ist für außerirdisch gute Ideen.
Hier mein letztes Schreiben unserer öffentlich Korrespondenz auf LinkedIn:
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Lieber Ruben,
Danke Dir für unser inspirierendes Treffen. Hier nur ein Ausschnitt unserer vielen Ideen für alle, die es interessiert.
1. Unser gemeinsamer Anspruch
war schnell klar: Narrative Organisationsentwicklung soll inspirieren, mitreissend sein, einen Sog erzeugen, kurz, es soll ein echtes Erlebnis sein. Erst dieser Zustand führt zu Lösungen, die einen nicht nur aus den Sattel heben, sondern bis in die nächste Galaxie katapultieren können.
2. Das Setting ist wichtig
Schon unsere erste Idee kann das Format auf ein neues Level heben. Es ist ein mit neuester Technik bestücktes Setting, das einem Holodeck schon sehr nahe kommt. Hier durchleben die Teilnehmer*innen Szenarien, die packenden Sciencefiction-Stories in nichts nachstehen.
Sie müssen beispielsweise eine Weltraumstation aus einer Notsituation retten und sie wieder aufbauen, basierend auf unkonventionellen Narrativen, seien sie auf ein Produkt, ein bestimmtes Projekt oder eine Arbeitsumgebungen bezogen. Es entsteht ein Segment nach dem anderen, bis eine völlig neue Konstellation im Raum erscheint.
Natürlich gibt es dabei einen Antagonisten: Eine KI, die Segen oder Fluch sein kann, je nachdem, wie man sie überlistet.
Die Station kreist im Orbit eines erdähnlichen Planeten und gewinnt dort an Bedeutung für künftige (außerirdische) Märkte oder Ökosysteme. Sie wird von den Spielenden als eine greifbare Projektion geschaffen, ein Bauplan der Zukunft sozusagen.
3. Gute Teams ersetzen Genies
Viele würden jetzt vielleicht sagen, dass für innovative Ideen Genies nötig sind. Aber ich habe oft erlebt wie in einem inspirierenden Rahmen geniale Team-Ergebnisse zustande kommen, die die gewohnten Dimensionen sprengen. Diese Komponente wird oft vergessen.
4. Die ästhetische Qualität bringt die nötige Tiefe
Für die besondere Qualität und den mitreissenden Sog sind Deine Stories entscheidend. Sie hauchen dem Ganzen das Leben ein.
Erst in den Details der guten Inszenierung zeigt sich die Wirkung der Kunst, in dem Fall, der Schaffung einer Parallelwelt, die uns zu losgelösten Gedanken einlädt. Die Mittel der Ästhetik ermöglichen ein starkes, emotionales Erlebnis. So erreichen wir die Tiefe, die wir für „das Neue“ brauchen.
Oder, um es mit den Worten der Künstlerin Sissel Tolaas zu sagen: „Wir werden die großen Probleme nur lösen, wenn wir Emotionen, Verspieltheit und Neugier an den Tisch bringen.“
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Bis bald
Thor